Wir müssen uns trainieren, die Vielfältigkeit von Menschen auszuhalten: Josephine Macfoy über Rassismus und Engagement in Berlin

Engagiert in der Coronazeit

Zehn Jah­re Ber­li­ner En­ga­ge­ment­wo­che: Die Lan­des­frei­wil­li­genagen­tur Ber­lin hat Antrei­ber:innen und Beobachter:innen der Ber­li­ner Zi­vil­ge­sell­schaft auf ein Wort ge­be­ten – nach­ge­fragt, in die­ser Co­ro­na­zeit. Heu­te Jo­se­phi­ne Mac­foy, Lo­kal-Re­dak­teu­rin der Ber­li­ner Wo­che, im Ge­spräch mit Re­né Tausch­ke.

Die Lan­des­frei­wil­li­genagen­tur Ber­lin und das Lan­des­netz­werk Bür­ger­en­ga­ge­ment Ber­lin als zen­tra­le Ver­an­stal­ter der Ber­li­ner En­ga­ge­ment­wo­che ha­ben sich für 2020 das Jah­res­mot­to Lern.Ort.Engagement ge­setzt. Was be­deu­tet das Mot­to „Lern.Ort.Engagement.“ für dich? Was hast du aus dem En­ga­ge­ment gelernt?

Josephine Macfoy

Die En­ga­ge­ment­kul­tur Ber­lins ist ein Be­weis da­für, dass es grund­sätz­lich ein gro­ßes Po­ten­zi­al in der Be­völ­ke­rung gibt, ein­an­der zu un­ter­stüt­zen. Die vie­len Eh­ren­amt­li­chen zei­gen, dass Wer­te wie Mit­ge­fühl und Zi­vil­cou­ra­ge sehr le­ben­dig sind. “Lern.Ort.Engagement.” be­deu­tet für mich, dass Men­schen zu­sam­men­kom­men, vor Ort in den Kiezen, von­ein­an­der ler­nen und ge­mein­sam et­was Gu­tes für die Stadt schaffen.

Du schreibst un­ter an­de­rem für die Ber­li­ner Wo­che aus dem Be­zirk Neu­kölln und Trep­tow-Kö­pe­nick. Im Ta­ges­spie­gel hast du auch über dei­ne Er­fah­run­gen mit Ras­sis­mus be­rich­tet. Wie prä­sent ist der Ras­sis­mus in Ber­lin in dei­nen Augen?

Lei­der ist er sehr prä­sent. Oft ha­be ich das Ge­fühl, Ras­sis­mus ist mitt­ler­wei­le ein Ven­til für al­le mög­li­chen Un­zu­frie­den­hei­ten. Vie­le ha­ben – nicht erst jetzt – Angst vor ei­nem so­zia­len Ab­stieg. Oft wird die­ser den ver­meint­lich “an­de­ren” an­ge­las­tet, ein­fa­chen Feind­bil­dern. An ganz vie­len Stel­len der Ge­sell­schaft gibt es ge­ra­de sol­che Span­nun­gen. In den letz­ten Jah­ren wur­de da­bei im­mer we­ni­ger mit­ein­an­der ge­re­det, son­dern viel mehr gegeneinander.

Warum es Rassismus noch immer gibt

Seit Jah­ren gibt es die Hoff­nung, dass Ras­sis­mus ir­gend­wann kein The­ma mehr ist. Was ist der Grund, war­um es Ras­sis­mus noch im­mer gibt?

Sei­ne Ge­schich­te wur­de nie rich­tig auf­ge­ar­bei­tet. In der Schu­le lernt man zum Bei­spiel kaum et­was über den Ko­lo­nia­lis­mus, da­bei stam­men aus die­ser Zeit vie­le furcht­ba­re Kli­schees, die im­mer noch ver­brei­tet sind. Auch im All­tag gibt es noch zu we­nig Sen­si­bi­li­tät da­für. In den letz­ten Jah­ren ist Schreck­li­ches pas­siert, zum Bei­spiel die NSU-Mor­de, Über­fäl­le auf Flücht­lings­un­ter­künf­te, Mor­de in Kas­sel und Ha­nau und die An­schlags­se­rie in Neu­kölln. Trotz­dem müs­sen im­mer noch Men­schen, die Ras­sis­mus er­le­ben, er­klä­ren, dass er ge­fähr­lich ist.

2020 ist viel­leicht end­lich ein Wen­de­punkt, an dem die Ge­sell­schaft be­greift, dass es zu ei­nem Kli­ma bei­trägt, in dem Ex­tre­mis­ten sich stark füh­len, wenn so vie­le Men­schen zum Bei­spiel bei Pö­be­lei­en, Hass­kom­men­ta­ren oder “nicht bö­se ge­mein­ten Wit­zen” ein­fach still blei­ben. Ras­sis­mus ist nichts, was sich ge­gen Ein­zel­per­so­nen rich­tet, son­dern ge­gen die Idee ei­ner viel­fäl­ti­gen Gesellschaft.

War­um fällt es der deut­schen Ge­sell­schaft so schwer, sich ein­zu­ge­ste­hen, dass Ras­sis­mus noch weit ver­brei­tet ist?

Das hat haupt­säch­lich et­was mit Selbst­re­fle­xi­on zu tun. Es gibt ei­nen Wi­der­wil­len, dar­über nach­zu­den­ken, wel­che Vor­ur­tei­le man selbst hat. Der kommt wohl da­her, dass es an­stren­gend ist, al­te Mus­ter auf­zu­ge­ben und an sich zu ar­bei­ten. Letzt­lich bin ich aber über­zeugt, dass das die ein­zi­ge Mög­lich­keit ist, in ei­ner glo­ba­li­sier­ten Welt fried­lich zusammenzuleben.

Den Leuten auch einfach mal offen zuhören

Wer kann die Men­schen zur Selbst­re­fle­xi­on an­sto­ßen? Schaf­fen es die zi­vil­ge­sell­schaft­li­chen Ak­teu­re und der Groß­teil der Ge­sell­schaft gemeinsam?

Je­der kann das, auch im Klei­nen, in­dem er oder sie ein Bei­spiel ist und ein­schrei­tet, wenn an­de­re be­lei­digt, un­ge­recht be­han­delt oder an­ge­grif­fen wer­den. Als Mensch, der hin­ter den Wer­ten des Grund­ge­setz­tes steht, soll­te man es nicht zu­las­sen, dass das Zu­sam­men­le­ben von we­ni­gen ver­gif­tet wird. Es gibt auch vie­le For­ma­te für ei­nen Aus­tausch mit Be­trof­fe­nen. Man muss nicht hun­dert Bü­cher le­sen, man kann den Leu­ten auch ein­fach mal of­fen zu­hö­ren und dar­über nach­den­ken, ge­ra­de ist das be­son­ders leicht. Für sol­che Be­geg­nun­gen un­ter­schied­li­cher Men­schen spie­len In­itia­ti­ven ei­ne be­son­ders gro­ße Rolle.

Wel­che Rol­le kommt den In­itia­ti­ven zu? Was ha­ben sie be­reits er­reicht? Was kön­nen Sie noch erreichen?

Sie brin­gen die Men­schen zu­sam­men. Ge­ra­de in Ber­lin sit­zen wir auf ei­nem gro­ßen Schatz: Hier le­ben ganz un­ter­schied­li­che Men­schen über­wie­gend fried­lich zu­sam­men. Wenn man das be­stärkt, dass Men­schen auf­ein­an­der zu­ge­hen und sich mit an­de­ren Mei­nun­gen, Le­bens­wei­sen und Iden­ti­tä­ten aus­ein­an­der­set­zen, kann man nach­hal­tig et­was verändern.

Das Gesprächsklima hat sich insgesamt erhitzt

In den letz­ten Jah­ren gab es vie­le Er­eig­nis­se, die Zwei­fel an ei­ner Ent­wick­lung hin zu ei­ner viel­fäl­ti­gen, fried­li­chen Ge­mein­schaft auf­kom­men las­sen. Hat die In­ten­si­tät von Ras­sis­mus in den letz­ten Jah­ren zugenommen?

Wenn ich an mei­ne Kind­heit in Rei­ni­cken­dorf und Schö­ne­berg den­ke, dann hat­te ich im­mer das Ge­fühl, die Ge­sell­schaft geht auf Ver­söhn­lich­keit zu. In den letz­ten zehn Jah­ren ist es, si­cher­lich auch durch den Ton in der Po­li­tik und die Mög­lich­kei­ten, die es on­line für in­to­le­ran­te Men­schen gibt, aber ge­sell­schafts­fä­hi­ger ge­wor­den, zu het­zen. Das Ge­sprächs­kli­ma hat sich ins­ge­samt er­hitzt. Gleich­zei­tig wur­de Ras­sis­mus im­mer wie­der als Ein­zel­er­eig­nis und Aus­nah­me her­un­ter­ge­spielt und als Pro­blem ei­ner Rand­grup­pe dargestellt.

Was des­halb fehl­te, war die So­li­da­ri­tät. Das Wort „Frem­den­hass“ ist da­für ziem­lich be­zeich­nend. Fast je­der in Ber­lin hat aber Freund:innen, Kolleg:innen, Nachbar:innen mit Mir­ga­ti­ons­hin­ter­grund. Das Ziel des Has­ses ist die Mit­te der Gesellschaft.

In Deutsch­land wer­den im­mer wie­der ras­sis­ti­sche Be­grif­fe ver­wen­det, oft auch un­be­ab­sich­tigt. Ei­ne öf­fent­li­che Dis­kus­si­on dar­über wird im­mer stär­ker. Wie sehr prägt die Spra­che den Rassismus?

Ras­sis­mus prägt eher die Spra­che. Spra­che kann Men­schen ein tie­fes, schlech­tes Ge­fühl ver­mit­teln und aus­schlie­ßen. Das müs­sen vie­le Leu­te erst mal ver­ste­hen und ak­zep­tie­ren. Ich den­ke, Spra­che ist aber nur ein Teil des Pro­blems, auch wenn sie in der De­bat­te ge­ra­de ei­ne gro­ße Rol­le spielt. Sie ist der Aus­druck ei­ner Hal­tung: Ent­we­der, man wei­gert sich, die Ge­füh­le an­de­rer zu ach­ten, oder man ist wirk­lich Rassist.

Wenn sich Men­schen auch 2020 noch weh­ren, et­wa das N‑Wort sein zu las­sen, dann ist das ei­gent­lich kein Kampf um die Spra­che, son­dern ei­ner um die Ein­stel­lung. Es geht um ei­ne falsch ver­stan­de­ne Mei­nungs­frei­heit. Kei­ner hat das Recht, an­de­re zu beleidigen.

Vielfältigkeit der Stadt noch mehr als Ressource nutzen

Wel­che For­ma­te und Struk­tu­ren müss­ten für ei­ne star­ke und of­fe­ne Ge­sell­schaft noch ge­schaf­fen oder ge­stärkt werden?

Al­les, was in Rich­tung zi­vi­li­sier­te Dis­kus­si­on geht, ist si­cher­lich rich­tig und wich­tig. Ich er­le­be häu­fig, dass Men­schen dicht ma­chen, wenn sie mer­ken, das Ge­gen­über ist an­de­rer Mei­nung. Wir müs­sen uns trai­nie­ren, die Viel­fäl­tig­keit von Men­schen aus­zu­hal­ten. Des­halb ist al­les, was Men­schen mit­ein­an­der ins Ge­spräch bringt, wert­voll. Da­zu ge­hört auch, po­si­ti­ve Ge­mein­schafts­er­leb­nis­se zu schaf­fen. Sei es ein Stra­ßen­fest, ein ge­mein­sa­mes En­ga­ge­ment im Sport­ver­ein oder Pro­jek­te, die die Kieze zu­sam­men­brin­gen, bei de­nen Men­schen sich ken­nen­ler­nen. Das al­les ist wich­tig, um Vor­ur­tei­le abzubauen.

Wie stark ist die En­ga­ge­ment-Land­schaft, um ge­nau das zu er­rei­chen, die Vor­ur­tei­le abzubauen?

Sehr stark, es gibt vie­le tol­le Pro­jek­te in die­se Rich­tung. Aber man könn­te die Viel­fäl­tig­keit der Stadt noch mehr als Res­sour­ce nut­zen. Im Ge­sell­schafts­dis­kurs taucht das Wort „Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund“ meis­tens im Zu­sam­men­hang mit Ne­ga­ti­vem auf: Brenn­punk­te, Ar­beits­lo­sig­keit, Sprach­pro­ble­me. Das En­ga­ge­ment könn­te an­de­res in den Fo­kus neh­men, die vie­len po­si­ti­ven Ef­fek­te, die es hat, wenn man per­sön­li­chen Zu­gang zu ei­ner an­de­ren Kul­tur und Spra­che hat. Vie­le Men­schen aus mi­gran­ti­schen Krei­sen wä­ren si­cher noch of­fe­ner für En­ga­ge­ment, wenn sie mehr mit­ge­stal­ten könn­ten, mit Ideen aus ih­rer spe­zi­el­len Perspektive.

Lern.Ort.Engagement. | 10. Ber­li­ner En­ga­ge­ment­wo­che | Auf ein Wort
zu­letzt ak­tua­li­siert 11.09.2020