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Design-Klassiker: Wie ich lernte, ein Ufo zu lieben

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Corbis

Design-Klassiker Wie ich lernte, ein Ufo zu lieben

Angriff der Außerirdischen? Nein, Sixties-Design! Vor 40 Jahren revolutionierte das Futuro-Haus die Architektur. Doch nur 22 Stück des transportablen Raumwunders im Look einer Fliegenden Untertasse wurden je gebaut. Ufo Nr. 13 fand Cora Geißler zufällig auf dem Schrottplatz - und beschloss, es zu retten.

Zwischen überwucherten Riesenradgondeln, ausgedienten Karussellpferden und rostigen Schienen bahne ich mir meinen Weg. Die flugzeugartige Treppe senkt sich knarrend und gibt den Blick in das Innere des seltsamen Ufos frei. Durch eine ovale Tür betrete ich den kreisrunden Innenraum. Blaue Mülltüten als liebloser Gardinenersatz, sperrholzverschalte Wände, unter riesigen Bergen von Elektroschrott und allerlei Müll lugt ein schäbiger Kunstrasenteppich hervor. Unzählige Fliegen umkreisen den noch gedeckten Tisch. Gummistiefel stehen unter der Garderobe und zeugen von der übereilten Flucht des letzten Bewohners.

Entdeckt hatte ich das verwunschene Objekt auf einem Spaziergang durch den Plänterwald im Ost-Berliner Stadtteil Treptow, auf dem Schrottplatz eines ehemaligen Vergnügungsparks: Ein Gebilde wie eine Fliegende Untertasse von vielleicht acht Metern Durchmesser, elliptisch im Aufriss und mit ovalen Fenstern, dazu auf hohen Stelzen stehend, die ihm zusätzlich die Anmutung einer Mondfähre verliehen.

Ich hatte etwas ganz besonderes entdeckt, soviel war mir sofort klar. Der Gedanke, das faszinierende Objekt aus seiner traurigen Umgebung zu retten, ließ mich seither nicht mehr los. Wilde Ideen kreisten in meinem Kopf: Könnte man daraus einen Eissalon machen, mit Speiseeis in den denkbar grellsten Farben? Ein Cafe am Ufer der Spree, für hungrige Bootsausflügler auf dem Weg zum Müggelsee? Eines aber war mir völlig klar: Ich wollte dieses Ufo retten.

Stasi-Abhörstation oder Skihütte?

Nur gestaltete es sich schwieriger als erwartet, das Haus zu erwerben. Obwohl es auf dem Schrottplatz stand, verlangte der Eigentümer einen hohen Preis. Die Verhandlungen waren zermürbend und führten über zwei Jahre zu keinem Erfolg.

In dieser Zeit begann ich intensiv, die Geschichte und Herkunft des seltsamen Objekts zu erforschen. Jedes Foto, jeder Zeitungsartikel und jedes noch so kleine Detail aus der Historie des Futuro brachte mich meinem Lebenstraum näher, auch wenn ich ihn noch gar nicht besaß. Durch Zufall entdeckte eine Bekannte das achtlos im Keller einer benachbarten Ruine entsorgte Fotoarchiv des Kulturparks mit wunderbaren Aufnahmen aus den Anfangstagen des Kulturparks mit "meinem" Ufo.

Ich traf ehemalige Mitarbeiter des Kulturparks, deren Anekdoten und persönliche Erinnerungen die Verbundenheit mit der ungewöhnlichen Behausung noch verstärkten. Manche Geschichten erwiesen sich allerdings als skurrile Gerüchte, etwa, dass die Staatssicherheit aus dem Ufo heraus Ost-Punks beobachtet hätte. Über viele Umwege und Zufälle entdeckte ich schließlich das Geheimnis der vermeintlichen Jahrmarktattraktion: Mein Ufo war in Wirklichkeit eine Skihütte.

Haus der intergalaktischen Utopien

Im Jahr 1965 war der finnische Architekt Matti Suuronen von einem Schulfreund gebeten worden, ihm eine Berghütte zu entwerfen. Das Ergebnis war eine ellipsoide Konstruktion aus glasfaserverstärktem Kunststoff mit 16 symmetrisch angeordneten ovalen Fenstern. Die Behausung konnte per Hubschrauber leicht in unwegsames Gebirge transportiert werden und ließ sich dank seines geringen Raumvolumens günstig und schnell beheizen. Die kreisrunde, 50 Quadratmeter große Wohnfläche beherbergt eine offene Küchenzeile, einen Schlafbereich für zwei Personen, eine Nasszelle mit integrierter Dusche und Toilette sowie drei Liegesessel, radial entlang der gekrümmten Außenwand aufgestellt und um einen in der Mitte plazierten, offenen Kamin gruppiert.

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Schnell erregte die ungewöhnliche Architektur des Prototyps weltweite Aufmerksamkeit. Das "Futuro" getaufte mobile Heim war 1968 in London die Hauptattraktion der Ausstellung "Finnfocus" und wurde bald vom New Yorker Museum of Modern Art gezeigt. Ermutigt von der großen Resonanz begann die Serienfertigung. Die Firma Polykem nahm das "Futuro" als Freizeithaus ins Programm und präsentierte es auf zahlreichen Messen weltweit.

Suuronens spacige Skihütte vereinte wie wenig andere Designobjekte die zentralen Tendenzen des Zeitgeistes der sechziger Jahre. In seiner Formgebung griff das Futuro-Haus die intergalaktischen Utopien der frühen Raumfahrt auf, die mobile Funktionalität entsprach dem neuen Freizeitgedanken am Ende der Nachkriegsgenügsamkeit. Die Erwartung, mit einer seriellen Großproduktion eine für Jedermann bezahlbare, revolutionäre Wohnform geschaffen zu haben, erfüllte sich allerdings nicht. Die Ölkrise von 1972 verdreifachte den Preis für Kunststoff und machte die Produktion unrentabel, und die aufkommende Umweltschutzbewegung verteufelte Plastik als Bedrohung für den Planeten. So verließen insgesamt nur 22 "Futuro"-Häuser das finnische Werk, die unter anderem nach Südafrika, Japan und Argentinien verkauft wurden.

Alle Kinder wollen Ufo fliegen

Heute existieren vom "Futuro" noch ganze elf original erhaltene Exemplare. Während meiner Recherchen versuchte ich den Weg jedes einzelnen nachzuverfolgen. Ich entdeckte ein Futuro in Tarnfarben als Fischerhütte auf einer finnischen Insel. Eines steht, der ursprünglichen Idee gemäß, als Skihütte in den Bergen Dombais in Russland. Ein sehr gut erhaltenes Exemplar spürte sich bei den designbegeisterten Japanern auf, in Neuseeland einen Nachbau, der ehemals als Bankfiliale diente. In Deutschland gibt es in einem Jugendclub bei Frankfurt immerhin noch eine knallgelbe Futuro-Hälfte.

Auch die Geschichte meines Ufos kenne ich inzwischen. Das Futuro mit der Seriennummer 13 wurde 1968 als Ausstellungspavillon des Chemiekonzerns Bayer auf der Hannover-Messe eingesetzt. Von dort fand es seinen Weg in den Osten. Als 1969 zum 20. Geburtstag der DDR der Ost-Berliner Kulturpark eröffnet wurde, diente das Futuro dort als Parkfunkstudio, von dem aus der gesamte Park mit Musik beschallt werden konnte.

Außerdem war das markante, ovale Flugobjekt auf Stelzen Anlaufstelle für verlorengegangene Kinder, die von dort ihre Eltern ausrufen lassen konnten. Allerdings standen bald lauter Kinder vor dem Ufo Schlange, die angeblich ihre Eltern verloren hatten - in Wirklichkeit aber nur das Innenleben der spektakulären Raumstation erleben wollten. Da der Plattenunterhalter so nicht mehr arbeiten konnte, musste die Kindersuchstation umsiedeln.

Flucht nach Südamerika mit Karussell

Nach dem Ende der DDR wurde das Gelände von einer Firma namens Spreepark GmbH übernommen. In deren Pläne, im Kulturpark einen kommerziellen Freizeitpark einzurichten, passte das Futuro nun nicht mehr. Fortan führte es ein tristes Dasein am Rande des Geländes, zwischen ausgedienten Karussells und Jahrmarktschrott. Irgendwann 2002 sah ich durch Zufall einen Fernsehbeitrag über die spektakuläre Flucht des dubiosen Eigentümers der Spreepark GmbH: In wenigen Nächten hatte er einen Großteil der geleasten Fahrgeschäfte abbauen, auf Lkw verladen und über Bremerhaven nach Südamerika verschiffen lassen, um in Lima einen neuen "Lunapark" zu eröffnen. Der Abgang des hoch verschuldeten Investors zerstörte die Existenz vieler gutgläubiger Schausteller. Für mich entwickelte sich die neue Situation zum Glücksfall. Endlich konnte ich mit den neuen Verwaltern den ersehnten Kaufvertrag unterzeichen.

Aber wohin damit? Und wie? Ein Straßentransport war ausgeschlossen. Die von spektakulären Fotos aus Schweden inspirierte Idee, das Futuro per Transporthubschrauber umzusetzen, platzte kurz vor dem Abflugtermin: Aus bis heute unerfindlichen Gründen wiegt das Futuro mit der Seriennummer 13 unglaubliche 4,5 Tonnen, volle zwei Tonnen mehr als seine Brüder.

Eine andere Lösung musste her - und zwar schnell. Ich fand eine Werft, die einen Schiffsponton mit geeigneter Größe bereitstellen konnte. Als das Futuro am Haken eines Krans weit über der Spree hing und langsam auf den Ponton herabsank wie ein wirkliches Ufo bei der Landung, reckten die Passagiere der Ausflugsdampfer ungläubig die Hälse. Es war unvergesslich. Die Anspannung war immens, denn nun hatte ich die Verantwortung für ein museales Designobjekt übernommen - und ein wenig Angst vor meiner eigenen Courage.

Blickfang mit Vorbildwirkung

Das Haus befand sich in einem verwahrlosten Zustand. Die Außenhülle war brüchig, die meisten der Plexiglasfenster hatten Sprünge, waren zerkratzt oder fehlten völlig. Die ursprüngliche Innengestaltung war durch diverse Einbauten nicht mehr zu erkennen, wichtige Elemente fehlten.

Glücklicherweise gelang es, Museen, Institute und Hochschulen für die Begleitung der fälligen Restaurierung zu gewinnen. Mittlerweile befindet sich das Futuro weitgehend wieder im originalen Zustand; der Denkmalschutz möchte es in seine Bestandsliste aufnehmen. Das Futuro13 ist heute wieder ein echter Blickfang am südöstlichen Spreeufer. Endlich bekommt es wieder die Aufmerksamkeit, die ein so kühner und zugleich charmanter Entwurf verdient.

Und durchaus nicht nur von Ausflüglern. Andere Designer nehmen heute Matti Suuronens Vision wieder auf und entwerfen mobile Behausungen für globale Nomaden - der Berliner Werner Aisslinger etwa mit seinem "LoftCube". So strahlt Suuronens Futuro, das weit mehr als eine Skihütte war, auch nach 40 Jahren weiter den Geist einer gelebten Utopie aus.